09. Juli 2011 · Kommentare deaktiviert für Die Sorgerechtsreform nach dem Urteil des BVerfG – verfassungsrechtliche und rechtsvergleichende Perspektiven · Kategorien: Aktuelle Entscheidungen, Aktuelle Entwicklungen, Sorgerecht

Seit dem Beschluss des BVerfG vom letzten Jahr gilt für das Sorgerecht bei unverheirateten Eltern eine Übergangslösung. Dies soll Anlass sein, mögliche und auch bereits diskutierte gesetzliche Neuregelungen aus verfassungsrechtlicher und rechtsvergleichender Perspektive zu beleuchten (basierend auf Fink: in der ZKJ 5/2011, S. 154-159).

Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte und dem nur wenige Monate später ergangenen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts werden verschiedene Modelle für eine gesetzliche Neuregelung diskutiert.

Bis zum Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung gilt die vorläufige Anordnung des BVerfG, nach der auf Antrag eines Elternteils das Familiengericht die Sorge oder einen Teil davon gemeinsam überträgt, soweit dies dem Kindeswohl entspricht. Kommt eine gemeinsame Sorge nicht in Betracht, so ist sie dem Vater allein zu übertragen, wenn dies mit dem Kindeswohl vereinbar ist. Grundlage dieser Entscheidung, die dem Vater im Notfall auch gegen den Willen der Mutter eine Teilhabe am Sorgerecht einräumt, war eine rechtstatsächliche Erhebung, die Zweifel an der reinen Kindeswohlorientierung der mütterlichen Verweigerung aufkommen liess. Nunmehr ist nur noch Östereich das einzige EU-Land, das ein Teilhabe des nichtehelichen Vaters an der elterlichen Sorge von der Zustimmung der Mutter abhängig macht. Aber auch der österreichische § 167 ABGB dürfte vor dem Hintergrund der Unvereinbarkeit derartiger Regelungen mit der EMRK unter europäischen Anpassungsdruck geraten.

Wie der rechtsvergleichende Blick in die Sorgerechtsregelungen der anderen EU-Staaten ergibt, lässt sich eine Staatengruppe identifizieren, die eine der BVerfG-Anordnung ähnliche Regelung getroffen haben. So das Einverständnis zwischen beiden Elternteilen besteht, erlangen sie per Antrag oder gemeinsamer Vereinbarung ohne Kindeswohlprüfung das gemeinsame Sorgerecht. Im Konfliktfall kann der Vater gegen den Willen der Mutter nach einer am Kindeswohl ausgrerichteten Prüfung durch ein Gericht das Sorgerecht erlangen. In der weit überwiegenden Gruppe der EU-Staaten jedoch sind unverheiratete verheirateten Eltern weitgehend gleichgestellt und sie erlangen per Gesetz das gemeinsame Sorgerecht. Allerdings ist dies davon abhängig, dass der Vater seine Bereitschaft zur Ausübung des Sorgerechts unter Beweis stellt, davon wird entweder durch das Zusammenleben beider Elternteile oder durch die Anerkennnung der Vaterschaft ausgegangen. Insgesamt kann aber festgehalten werden, dass der Vater anders als die Mutter seine Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung für das Kind unter Beweis stellen muss.

Was die demnächst durch den deutschen Gesetzgeber zu treffende Neuregelung des Sorgerechts angeht, so hat auch schon das BVerfG in seiner Entscheidung festgestellt, dass verfassungsrechtlich nicht nur ein gemeinsames Sorgerecht unverheirateter Eltern geboten, sondern dessen Einführung qua Gesetz auch nicht verboten ist. Somit wären sowohl ein gemeinsames Sorgerecht als auch ein zunächst bestehendes Alleinsorgerecht der Mutter und ein entsprechendes Antragsrecht des Vaters verfassungskonform. In der aktuellen Diskussion stehen nunmehr drei Modelle im Raum, das Widerspruchsmodell, das sog. modifizierte Widerspruchsmodell und das Antragsmodell.

Bei dem Antragsmodell handelt es sich um Grunde um nichts anderes als die Statuierung der jetzt seit der BVerfG-Entscheidung bestehenden Rechtslage. Soweit jedoch angedacht wird, dem Vater die Möglichkeit eines Antrags erst nach Ablauf einer bestimmten Frist einzuräumen, träfe dies auf verfassungsrechtliche Bedenken, da der Vater in der wichtigen Zeit unmittelbar nach der Geburt des Kindes von zum Teil substantiellen Entscheidungen ausgeschlossen wäre.

Das Gegenmodell wäre das Widerspruchsmodell, wonach der Vater bei geklärter Vaterschaft und Abgabe einer Sorgeerklärung zum gemeinsamen Sorgerecht gelangen würde. Der Mutter stünde innerhalb einer bestimmten Frist ein Widerspruchsrecht zu, das dann zu einem gerichtlichen Verfahren führen würde. Die gegen dieses Modell gelegentlich vorgertragenen Bedenken, mit Ablauf der Widerspruchsfrist würde die sorgerechtliche Stellung der Eltern zementiert, greifen letztlich nicht, da jederzeit eine Änderung nach den §§ 1666, 1671 u. 1696 BGB möglich ist und im Hinblick auf das Kindeswohl auch verfassungsrechtlich kein Anlass für Beanstandungen besteht, solange dieses Modell eine zu jedem Zeitpunkt mögliche gerichtliche Überprüfung der Vereinbarkeit des gemeinsamen Sorgerechts mit dem Kindeswohl zulässt.

Der vom Bundesjustizministerium vorgeschlagene Kompromiss besteht in einem modifizierten Widerspruchsmodell, das zunächst das alleinige Sorgerecht für die Mutter vorsieht. Gibt der verbindlich feststehende Vater jedoch eine Sorgerechtserklärung ab, wird er per Gesetz Inhaber des gemeinsamen Sorgerechts, dies jedoch erst nach Ablauf einer bestimmten Frist, innerhalb derer die Mutter einem gemeinsamen Sorgerecht widersprechen kann. Nach einem solchen Widerspruch kann dann der Vater durch ein Gerichtsverfahren klären lassen, ob eine gemeinsame Sorge dem Kindeswohl widerspricht oder nicht bzw. entspricht oder nicht. Diese Formulierungen werfen solange keine verfassungsrechtlichen Probleme auf, solange sichergestellt ist, dass hier mit “entspricht” nicht dem Kindeswohl “dient” gemeint ist. Dem Vater soll gerade ein erleichterter Zugang zum gemeinsamen Sorgerecht eröffnet werden und die Erfahrung bei der Anwendung des Art. 224 § 2 III EGBGB durch den BGH und die Oberlandesgerichte zeigt, dass dieser Begriff nur sehr restrikitv gehandhabt wird. Was die Ausgestaltung dieses Modells betrifft, so ist hier aus verfassungrechtlicher Sicht die Frage zu stellen, ob der Vater während der Widerspruchsfrist zumindest durch eine Einstweilige Anordnung die Möglichkeit hat, eine Beteiligung an den das Sorgerecht berührende Fragen zu erlangen. Andernfalls würden sich bei einer dann ergebenden “Karenzzeit” der Mutter die gleichen verfassungsrechtichen Probleme ergeben wie beim Antragsmodell. Darüber hinaus dürften sich auch nicht unerhebliche sonstige rechtsdogmatische sowie praktische Probleme bei diesem Modell ergeben. So stellt sich die Frage, wann und wie die Sorgeerklärung durch den Vater abzugeben ist, wer der Adressat ist u.ä., da dies ja maßgeblich für den Beginn der Widerspruchsfrist ist. Dieses im Ergebnis sehr komplexe Sorgerechtsmodell ist in dieser Form in keinem EU-Staat zu finden.

Ingesamt stossen alle 3 Modelle sowohl auf rechtliche als auch praktische Bedenken. Lediglich ein rein am Kindeswohl orientiertes Antragsmodell ohne weitere Qualifikationen erscheint aus rechtlicher und praktischer Sicht sinnvoll. Hier müsster entweder bei Alleinsorge der Mutter per Gesetz dem Vater oder bei gemeinsamer Sorge per Gesetz der Mutter die Möglichkeit einer gerichtlichen Überprüfung eingeräumt sein.

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