10. Mai 2012 · Kommentare deaktiviert für LG Bochum: Adoption eines Pflegekindes ohne elterliche Einwilligung zur rechtlichen Absicherung der familiären Zuordnung, wenn Verbleib ohnehin nicht in Frage steht. · Kategorien: Adoption, Aktuelle Entscheidungen, Pflegekinder

Das Landgericht Bochum hat am 21.10.2011 eine wegweisende Entscheidung getroffen, was die Rechtsstellung von Pflegekindern betrifft, deren Verbleib in der Pflegefamilie ohnehin nicht in Frage steht.

Vorliegend ging es um die Rechtsfrage, ob das Vormundschaftsgericht bei einer Annahme des Kindes auf dessen Antrag die Einwilligung eines Elternteils gem. § 1748 I S.1 2.Alt. BGB zu ersetzen hat, wenn dieser durch sein Verhalten gezeigt hat, dass ihm das Kind gleichgültig ist und das Unterbleiben der Annahme dem Kind zu einem unverhältnismäßigen Nachteil gereichen würde. Ein solche Gleichgültigkeit liegt nach gefestigter Rechtsprechung vor, wenn im Verhalten des Verhalten des Elternteils objektiv feststellbare Umstände nach der allgemeinen Lebenserfahrung den Schluss zulassen, dass das Kind dem Elternteil nach seiner subjektiven Einstellung gleichgültig ist. Ein Kind benötigt nämlich nicht nur einer in Pflichten fassbaren Fürsorge, wie sie auch durch Dritte oder Institutionen gewährleistet werden könnte, sondern vor allem der persönlichen Zuwendung. Wer es an einer solchen Zuwendung fehlen lässt und sich für das Schicksal seines Kindes nicht interessiert, verhält sich dementsprechend gleichgültig gegenüber seinem Kind.

In dem zu entscheidenden Fall lag nach Ansicht des Gerichts genau dieses Verhalten vor. Der Mutter des Kindes wurde das Sorgerecht aufgrund mehrerer Trennungen, Alkoholmissbrauch und damit einhergehender Tätlichkeiten entzogen. Sie nahm danach die ihr uneingeschränkt möglichen Besuchstermine bei ihrem Kind nicht war, ebenso wenig wie gerichtlich festgesetzte Gesprächstermine zur Erörterung von Umgangsregelungen – ohne dass hierfür ein plausibler Grund angegeben werden konnte. In einem Gespräch mit der Sachverständigen räumte sie zudem ein, unfähig zur Erziehung ihrer Kinder gewesen zu sein.

Das Gericht nahm dann eine Prüfung vor, ob das Unterbleiben der Adoption für das Kind mit unverhältnismäßigen Nachteilen verbunden wäre. Hier müssen die Kindes- und Elterninteressen gegeneinander abgewogen werden. Der Nachteil der unterbliebenen Adoption muss zu der Schwere des Eingriffs ins Elternrecht ins Verhältnis gesetzt werden. Das Gericht brachte dies auf die prägnante Formel: “Durch die Adoption muss sich die Lage des Kindes so verbessern, dass der Vorteil für das Kind außer Verhältnis zum Rechtsverlust des Elternteils steht. Dabei fällt das Elternrecht umso weniger ins Gewicht, je schwerer die Pflichtverletzung bzw. je nachhaltiger die Gleichgültigkeit ist“.

Dementsprechend nahm das Gericht dann folgende Wertung vor: das Kind wächst harmonisch in der Pflegefamilie auf und hat eine tiefe emotionale Bindung zu den Pflegeeltern aufgebaut. Diese betrachten das Pflegekind als eigenes Kind und gestalten das Familienleben entsprechend den besonderen Bedürfnissen des Kindes und fördern nachhaltig sein Entwicklung. Da ein solche Geborgenheit für die seelische und körperliche Entwicklung des Kindes unerlässlich ist, stellt das Aufwachsen in der Pflegefamilie eine entscheidende Verbesserung dar.

Ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt war für das Gericht war das Verhältnis zu Verbleibensanordnung gem. § 1632 IV BGB. Hier hat es sich zunächst der überwiegenden Auffassung angeschlossen, dass ein unverhältnismäßiger Nachteil auch dann vorliegen kann, wenn das Verbleiben des Kindes in der Pflegestelle nicht infrage gestellt ist. Zwar bietet eine Verbleibensanordnung nach § 1632 IV BGB einen Schutz vor einer Herausnahme zur “Unzeit”, jedoch handelt es sich hier im Unterschied zu einer Adoption nicht um eine auf Dauer angelegte Zuordnung! Durch die Adoption wird die faktische und rechtliche Integration des Kindes in eine intakte Familie bewirkt und sie bietet daher am ehesten die Gewähr, für ein harmonisches, geborgenes und vor den Einflüssen der leiblichen Eltern geschütztes Aufwachsen!

Das Gericht kam somit insgesamt zu der Wertung, dass aufgrund der nachhaltigen Gleichgültigkeit der Mutter sowie dem hohen Gewicht des Kindesinteresses an der rechtlichen Absicherung seiner derzeitigen Lebenssituation das Elternrecht der Mutter zurücktreten muss.

Wegweisend könnte dieses Urteil möglicherweise deshalb sein, weil es faktisch eine Gleichsetzung von rechtlicher und sozialer Elternschaft beinhaltet und diese Entscheidung nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der nunmehr direkt geltenden UN-Kinderrechtskonvention gesehen werden kann. Wie hier bereits dargestellt, sind die Auswirkungen des von der Konvention festgeschriebenen absoluten Kindeswohlvorrangs auf das deutsche Kindschaftsrecht und seine Anwendung durch die Gerichte erst in Umrissen erkennbar. In dieser Entscheidung wurde zwar kein ausdrücklicher Bezug zur Konvention hergestellt, sie atmet jedoch ihren Geist und man darf gespannt sein, welche Entwicklung sich in der Rechtsprechung bei ähnlichen Abwägungen zwischen Kinder- und Elterninteressen abzeichnet.

(LG Bochum, Beschluss v. 21.10.2011, Az.: 7 T 104/09)

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