02. August 2009 · Kommentare deaktiviert für Das beschleunigte Familienverfahren im Lichte des FamFG · Kategorien: Adoption, Aktuelle Entscheidungen, Aktuelle Entwicklungen, Sorgerecht, Umgangsrecht, Unterhalt, Vaterschaft, Vormundschaften

Die Vizepräsidentin des AG Pankow/Weißensee Cornelia Müller-Magdeburg hat einen sehr instruktiven Artikel über das am 01.09.2009 in Kraft tretende FamFG und das damit einhergehende beschleunigte Familienverfahren geschrieben, das u.a. in Berlin schon seit April 2007 praktiziert wird.

Im Folgenden eine ausführliche Zusammenfassung dieses Artikels:

(Quelle: Cornelia Müller-Magdeburg, in ZKJ 05/2009, S. 184-188)

Einleitung
Allen beteiligten Akteuren ist bekannt, dass sich am bisherigen Verfahren in Familiensachen, das durch die Ohnmacht der Gerichte, die „richtige“ Entscheidung zu treffen, die ausschließlich schriftliche Kommunikation vieler der beteiligten Professionen, überlange Dauer der Gerichtsverfahren, nicht zuletzt auch daraus resultierende Elternkonflikte und das damit einhergehende Leiden der Kinder gekennzeichnet ist, etwas ändern muss. Vor diesem Hintergrund ist das sogen. „Cochemer Modell“ mit seinem beschleunigten Verfahren zu sehen, das in das am 01.09.2009 in Kraft tretende FamFG Einzug gehalten hat. Auch in Berlin wird seit einiger Zeit ein beschleunigtes Familienverfahren nach Cochemer Vorbild praktiziert.

Grundlagen
Nach der dem beschleunigten Verfahren zugrunde liegenden Überzeugung bedürfen Kinder guter Beziehungen zu beiden Elternteilen. Ein Richter, der das Kind nur aus Anhörungsverfahren kennt, kann, wie die Praxis zeigt, nur selten dauerhaft tragfähige Entscheidungen treffen. Ein Reorganisationsmodell muss alle am Verfahren beteiligten Professionen mit einbeziehen. Zwar handelt es sich hier nicht zuletzt um ein zu reformierendes Verfahren, jedoch ist der Ansatz multidimensional zu sehen, da sich in Verfahren immer auch Haltungen widerspiegeln, die es bei allen Beteiligten zu verändern gilt, was notwendigerweise einen interdisziplinären Ansatz notwendig macht.

Die besondere Verfahrensweise
Das Gebot eines beschleunigten Verfahrens in den Fällen, in denen es um das Aufenthalts- oder Umgangsrecht, Herausgabe oder Gefährdung des Wohls des Kindes geht, bezieht sich, nach richtiger Auslegung des § 155 FamFG, lediglich auf die Verfahrensabläufe, keinesfalls auf Lösungssuche selbst. Bereits bei der Ladung zum ersten Anhörungstermin obliegt es dem Richter, den Parteien bestimmte Pflichten aufzuerlegen, wie die Kontaktaufnahme mit dem Jugendamt, um möglichst vorher schon eine Beratungsgespräch durchzuführen. Durch diese frühzeitig veranlasste Einschaltung professioneller Hilfe soll damit einhergehende sozialpädagogische Kompetenz möglichst frühzeitig Eingang in das gerichtliche Verfahren finden, gemeinsam Perspektiven für eine gemeinsame Elternschaft gefunden werden und nicht zuletzt deutlich zu machen, dass eine Delegation elterlicher Verantwortung an das Gericht nicht hinnehmbar ist und zu verhindern, dass das Gerichtsverfahren selbst zu einer Eskalation beiträgt. Die Intervention beschränkt sich jedoch nicht nur auf das Vorfeld des ersten Anhörungstermins, sondern soll auch eine Kontaktaufnahme zwischen den einzelnen beteiligten Professionen untereinander forciert werden. Hier stehen wiederum die Jugendämter an vorderster Stelle, die möglichst früh von dem ersten Anhörungstermin erfahren sollen, der dadurch entstehende Druck wird durch die jetzt schon entbehrlichen schriftlichen Berichte an das Gericht verringert. Zusammen mit der ebenfalls erfolgenden frühzeitigen Einschaltung der Rechtsanwälte als beteiligte Profession wird darauf abgezielt, die Eltern dazu zu befähigen, die Bedürfnisse ihrer Kinder gemeinsam und in der Zukunft zu erkennen, die Fähigkeit zur Wahrnehmung der gemeinsamen Elternverantwortung wieder herzustellen.

Die verordnete Beratung
Ein entscheidender Unterschied zum konventionellen Verfahren, das sich zu früh mit gerichtlichen Vergleichen zufrieden gab, liegt in dem durch § 156 FamFG dem Richter verliehenem Recht, den Eltern per Auflage die Teilnahme an einer Beratung anzuordnen. Hintergrund dieser Neuregelung ist der für Sozialpädagogen der Jugendämter banale Zusammenhang zwischen einer langfristig angelegten Beratung und einer entsprechenden Nachhaltigkeit der gefundenen Lösung. Dies bringt eine große Herausforderung für die Richter mit sich, der sie sich während des gesamten Verfahrens zu stellen haben und die immer im Hinblick auf die Erreichung eines Einvernehmens der Parteien wahrzunehmen ist.

Das Verfahren nach dem ersten gerichtlichen Anhörungstermin
Der Idealfall ist die elterliche Einigung bei allen das Kind betreffenden Themenfeldern beim ersten gerichtlichen Anhörungstermin, dank derer von Seite der Professionellen kein weiterer mehr Interventionsbedarf gesehen wird und das gerichtliche Verfahren beendet werden kann. Der in der Praxis am häufigsten anzutreffende Fall zeichnet sich zwar durch ein grundsätzliche Einsicht in die elterliche Verantwortung aus, jedoch ist beim ersten Anhörungstermin schon die Notwendigkeit weiterer professioneller Intervention erkennbar. Der erste Anhörungstermin ist somit eher als Schnittstelle zur einer notwendigen Beratung zu sehen. In Konfliktfällen, in denen aufgrund der bestehenden Eskalation zwischen beiden Elternteilen die entsprechende Einsicht fehlt, übernimmt der Richter seine Verantwortung durch eine entsprechende Anordnung, wichtig ist hier, dass keine Entscheidung für die Ewigkeit getroffen wird, sondern nur für die Fälle greift, in denen seitens der Eltern keine autonomen Entscheidungen getroffen werden können. Die bisherige Praxis der einstweiligen Anordnungen hat sich als vorübergehende Arbeitsgrundlage für eine langsam wachsende elterliche Verantwortung bewährt, ohne die Entwicklung des Kindes durch eine Weichenstellung eine bestimmte Entwicklung zu geben. Die bisherige zweieinhalbjährige Berliner Praxis eines beschleunigten Verfahrens zeigt, dass am Ende des Gerichtsverfahrens auch bei einer hohen Zahl von Konfliktfällen schließlich zu eine einvernehmlichen und autonomen Entscheidung seitens der Elternteile gefunden wird. Der Fortsetzungstermin, der durch den Richter anberaumt werden kann, kann auch bei schon vorher erfolgter Einigung der Eltern dazu dienen, die bereits erfolgte Einigung noch einmal auf ihre Tragfähigkeit hin abzuklopfen. Mangelt es hingegen an einer solchen Einigung, hat das Gericht die Möglichkeit, ein lösungsorientiertes Sachverständigengutachten einzuholen, dessen Ziel weniger in der Ermittlung des besseren Elternteils als vielmehr in der Auslotung von Konzepten für die Wiederherstellung der Kooperationsbereitschaft ist. Übrig bleiben dann schließlich noch die sogen. „Multi-Problem-Fälle“, bei denen sich zusätzlich zum Elternkonflikt noch andere Probleme wie Gewalt, Drogen oder Missbrauch gesellen. Das beschleunigte Familienverfahren bedeutet entgegen gelegentlich geäußerter Kritik keineswegs eine voreilige Einigung auf Kosten der Kinder, vielmehr muss eine derartige Situation aufgrund der Kindeswohlgefährdung vor dem Hintergrund von § 1666 BGB betrachtet werden. Aber auch hier greift das beschleunigte Verfahren dank der auf eine Veränderung der Situation hinwirkenden frühzeitigen Intervention des Gerichtes.

Die Verfahrensbeteiligten
Den Jugendämtern kommt eine sehr viel aktivere Rolle zu, die sich aus der inhaltlichen Vorbereitung des gerichtlichen Anhörungstermins, die im Idealfall schon zu einer vorherigen Klärung der den Eltern offen stehenden Optionen führt.
Was die Richter betrifft, so erhält die gerichtliche Verhandlung ein völlig anderen Charakter, der sich einerseit aus der geschulten Gesprächsführung des Richters, aber auch aus der ihm gegebenen Möglichkeit, das Jugendamt zu einer Moderation des Gesprächs mit den Eltern einzuladen. Andererseits ist der Richter aufgrund der Beschränkung des Sachvortrages und nicht zuletzt seiner klassischen Ausbildung nur unzureichend auf die „emotionalen Entladungen“ vorbereitet. Die Möglichkeit einer Gesprächsmoderation durch das Jugendamt kann durch hier entlastend und professionalisierend wirken.
Der Verfahrensbeistand (früher: Verfahrenspfleger) soll gem. § 158 III 1 FamFG so früh wie möglich bestellt werden, die Notwendigkeit dieser möglichst frühen Bestellung hängt gem. § 156 II FamFG von den entsprechenden Indizien des Einzelfalls ab, wobei dem Jugendamt auch diesbezgl. wieder eine sich aus dem vorgerichtlichen Beratungsgespräch ergebende frühe Gestaltungskompetenz zukommt. Der Verfahrensbeistand ist nicht nur reiner Interessenvertreter des Kindes, sondern seine möglichst frühe Bestellung ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass er aufgrund der ihm eigenen Kompetenzen und Möglichkeiten den Eltern die Notwendigkeit einer Kooperation vor Augen führen, gem. § 156 III S.4 kann ihm per Gericht auch die Führung zusätzlicher Gespräche mit ihnen bzw. weiteren Bezugspersonen übertragen werden.
Schließlich kann gem. § 163 I den Sachverständigen durch das Gericht eine Frist für die Erstellung eines Gutachtens gesetzt werden, zudem gem. Abs. 2 mit der Auflage, das Gutachten im Hinblick auf die Herstellung eines Einvernehmens zwischen den Beteiligten.

Haltungen
Grundsätzlich ist zu beachten, dass diese Reform abgesehen von der Regelung einer speziellen Verfahrensart ihren wirklichen Wert in der Normierung bereits vorher auf lokaler Ebene geübten Praxis den Idealfall anstrebender Verfahrensbeschleunigung hat. Die den speziellen Verfahren zugrunde liegen und für eine Veränderung der desolaten Situation entscheidenden Werte und Haltungen konnte das Gesetz natürlich nicht normieren. Grundsätzlich bekennt es sich zu einer gemeinsamen Elternschaft, es ist von der Prozesshaftigkeit in der Denkweise aller beteiligten Professionen geprägt, die sich auf die Analyse der aktuellen Situation beschränkt, sondern auf eine Veränderung zum Wohle des Kindes abzielt. Der dem beschleunigten Familienverfahren innewohnende Perspektivwechsel auf die Sichtweise des Kindes lässt keinen Raum für Diskussionen, ob dieses beschleunigte Verfahren für bestimmte Fälle ungeeignet ist, da die Frage, ob professionelle Unterstützung in keine Form zum Kindeswohl beitragen können, erst am Ende, nicht schon zu Beginn des Prozesses beantwortet werden kann.

Interdisziplinäre Zusammenarbeit
All dies setzt eine strukturierte und stabile interdisziplinäre Zusammenarbeit voraus. Dies wird in vielen Kommunen bereits seit mehreren Jahren praktiziert, seit dem 01.04.2007 auch in Berlin. So gibt es regionale Arbeitskreise, in denen Richter, Rechtsanwälte, Mitarbeiter von Jugendämtern und Beratungsstellen, Verfahrenspfleger und Sachverständige zusammenarbeiten und denen regelmäßig Arbeitsstandards, Rollenverständnisse sowie aktuelle Fragen von Umgangs- und Sorgerechtsstreitigkeiten diskutiert werden, unterstützt von einem Berlin-weiten Koordinierungskreis u.a. durch die Planung interdisziplinärer Fortbildungsveranstaltungen.

Ausblick
Die hier beschriebene interdisziplinäre Zusammenarbeit hat sich so gut bewährt, dass auch eine Erweiterung auf Fragen des Kinderschutzes und damit verbundenen Professionen wünsch- und umsetzbar erscheint.

Kommentare geschlossen.